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Die Rente ist nicht mehr sicher. Und die Zinsen keine Verlockung. Was tun? fragt sich vor allem die Generation Y und Z. Ihr Geld legen die unter 30-Jährigen vermehrt an der Börse an. Fast 600.000 junge Erwachsene kauften 2022 zum ersten Mal Aktien. 40 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Viele folgen den sogenannten „Finfluencern“, die bei Instagram, YouTube, Facebook oder TikTok das große Geld versprechen. Copy Trading soll den Traum vom Luxusleben wahr machen. Von Thomas Zorn
Inhalt
Ein Star ist der in Dubai residierende David Franke. Auch wenn er auf den ersten Blick nicht gerade wie ein Mister Universe wirkt, der gleich die Sterne vom Himmel holt. Seit fünf Jahren lebt er am Persischen Golf. Den „Lieben“ zu Hause will er „die Möglichkeit einräumen, eine Menge Geld zu verdienen“, sagt er in einem seiner Videos.
Online-Plattformen laden Investoren dazu ein, Tradern bei ihren Transaktionen mit einer selbst gewählten Summe zu folgen. Die Signalgeber operieren mit gehebelten und damit hochriskanten Produkten, den CFDs. Das steht für „Contract for Difference“. Ist man von der in Echtzeit abgebildeten Performance eines Händlers überzeugt, kopiert man dessen Entscheidungen und ist dann von seinem Erfolg oder Misserfolg abhängig. Aussteigen kann man grundsätzlich zu jeder Zeit. Doch die allermeisten warten, bis der Copy Trader den Schlussstrich zieht – im Guten wie im Schlechten.
1.500 Prozent in 18 Monaten mit Copy Trading
Franke ist so jemand, den andere kopierten. Äußerlich gehört der gelernte Einzelhandelskaufmann zwar nicht zu den Paradiesvögeln der Branche. Dafür hat er mit einem „Profit“ von sagenhaften „1.500 Prozent“ in nur 18 Monaten einen Rekord aufgestellt. Zahlen lügen nicht, behauptet der 29 Jährige. Vier Millionen Euro will er im Monat mit Copy Trading verdient haben. Mittlerweile hat sich der gebürtige Leverkusener selbst aus der vordersten Linie zurückgezogen. „Der Druck auf mich wurde einfach zu groß“, erzählt er. Immer mehr Leute seien ihm gefolgt und hätten auf ihn gehofft. „Ich war nicht mehr glücklich.“
Immerhin habe er seinen Schlussstrich bei sensationellen 1.378 Prozent im Plus gezogen, stellt er fest. Nun schickt Franke ein Dutzend von ihm ausgebildete Trader ins Rennen. Sie sollen seine Kunden ähnlich gut bedienen, wie er es bis zum letzten Jahr selbst getan haben will.
Der Kumpeltyp präsentiert sich gern im T-Shirt. Eine Filmsequenz zeigt ihn in einem schlichten Büro mit einem wackligen Regal, auf dem ein roter Miniatur-Lamborghini steht. Hinter dem Fenster erkennt man ein paar einfache Häuserblocks im Wüstensand. Vielleicht ein bewusst gewähltes Set. Denn mit Understatement und Selbstironie kann man beim Publikum zusätzlich punkten.
Druck auf den Gewinner
Der vollbärtige Rheinländer genießt den Ruf eines legendären Gewinners. „In der Spitze habe ich dank meines Netzwerks 72 Millionen US-Dollar verwaltet“, berichtet er. „Ich habe mein Ding durchgezogen. Aber wenn es mal Scheiße gelaufen ist, war mein Account mit Nachrichten voll.“
Soviel Stress brauche er nicht mehr, bekennt er. Es sei nicht die Angst vor einem Verlust „von ein paar Millionen“, der ihn zum operativen Ausstieg vom Copy Trading getrieben habe. Schließlich will er schon achtstellig verdient haben. Doch das Gefühl, andere nicht enttäuschen zu dürfen, habe ihn belastet.
Nun investiere er in „Cryptowallets und Immobilien“. Ein Restaurant besitze er auch. Er verprasse sein Geld nicht, antwortet der Glücksritter auf YouTube einem durchtrainierten Interviewer, der auf Bali sitzt. „Ich bin ein Nerd“, gibt Franke zu verstehen. Eigentlich hocke er nur stundenlang vor den Bildschirmen, treibe etwas Sport und gehe mal gut essen. Mehr sei nicht.
Rückzug aus der Frontlinie
„Für meine Investoren arbeite ich weiter“, beruhigt David Franke die Fans, für die er ein Halbgott ist. „Nur jetzt als Fund Manager mit von uns ausgebildeten Leuten. Die besten Zwölf haben wir genommen.“ Das Risiko sei auf je fünf Trader verteilt. Bei 1.000 Dollar also 200 Dollar für jeden Trader. Wenn auf einem Konto ein Verlust von 20 Prozent erfolgt, komme der Cut. „Du verlierst also dann nur vier Prozent.“ Er wolle seine Leute „supporten“. Ziel sei, etwas zu schaffen, was noch in 20 Jahren Bestand hat.
Seine eigene Performance mit 1.500 Prozent sei „einfach utopisch“ gewesen. Den Kunden empfiehlt er, mit einer Gewinnmarge von 12 bis 14 Prozent zufrieden zu sein. Man dürfe nicht Unmögliches wollen. Schließlich könne es auch in die andere Richtung gehen. „Eine Garantie auf einen hundertprozentigen Return of Invest gibt es nicht.“
Die treuherzigen Erklärungen seien nur „Nebelkerzen“, vermutet ein Insider. Franke habe die Reißleine gezogen, weil er den sagenhaften Erfolg niemals hätte wiederholen können. „Jeder Finfluencer habe Phasen, wo gar nichts läuft und er vom Markt ausgetrickst wird.“
Dicke Hose am Golf
Das Feld habe Franke für seinen Partner Dominick Toelen alias „Trading_dom“ geräumt, fährt der Kritiker fort. Der mache im Netz auf dicke Hose und zeige dreizehn Autoschlüssel, die samt der dazugehörigen Luxuskarossen ihm gehörten. Statt auf den Dax wie Franke setze Toelen vorzugsweise auf Devisen. Doch seine aktuellen Ergebnisse seien mehr als dürftig und stünden in keinerlei Verhältnis zu seinem großspurigen Auftreten.
„Copy Trading ist eine schwierige Sache“, räumt David Franke ein. „Du musst das richtige Mindset haben.“ Sich von Emotionen leiten zu lassen, sei ein Fehler. Wenn es gut laufe, könnten die wenigsten aufhören. „Die meisten Copy Trader verabschieden sich aus dem Geschäft mit einem Totalverlust“, verkündet er. Ob sich ein Scheitern mit Online-Coachings verhindern lässt? Das von Franke und Toelen gegründete Unternehmen „Wallstreet Story“ bietet jedenfalls Trainingskurse an.
Durch die Hebelwirkung können mit einem kleinen Kapitaleinsatz hohe Gewinne, aber auch hohe Verluste erzielt werden. Die Auswirkungen werden oft unterschätzt.
Hat man sich für einen steigenden Kurs mit dem Faktor 10 entschieden, ist das gesamte Investment schon verloren, wenn es um zehn Prozent nach unten geht.
CFDs sind Derivate, mit denen man auf Preisbewegungen von Basiswerten (dazu gehören Aktien, Rohstoffe, Währungen, Kryptos oder Indizes) spekulieren kann. Durch die Hebelwirkung können mit einem kleinen Kapitaleinsatz hohe Gewinne, aber auch hohe Verluste erzielt werden. Die Auswirkungen werden oft unterschätzt. Hat man sich für einen steigenden Kurs mit Faktor 10 entschieden, ist das gesamte Investment schon verloren, wenn es um zehn Prozent nach unten geht. Das kann – abhängig von der Höhe des Einsatzes – schnell verheerend sein.
Copy Trading als moralisches Dilemma
Gleichwohl geht das Kalkül bei dem ein oder anderen Finfluencer auf. Und befeuert Fantasien. Steigt der Kurs bei einem Faktor 10 um zehn Prozent, verdoppelt sich das Kapital. Beim Copy Trading muss der Investor vom Gewinn einen Gutteil an den nachgeahmten Händler abgeben, wenn der den Deal erfolgreich abgeschlossen hat. Die Provision liegt – je nach Vereinbarung – meist zwischen 20 und satten 50 Prozent. Vor allem die Champions lassen sich für ihre Dienste sehr gut entlohnen.
An den Verlusten sind die Signalgeber aber nicht beteiligt“, erläutert Sebastian Müller, ein zertifizierter Chartered Financial Analyst (CFA) aus Sulzbach im Taunus. „Das ist ein moralisches Dilemma“, findet der Finanz- und Börsenberater. „Vor allem dann, wenn Hochrisikostrategien verfolgt werden.“

Nach einer Bankerkarriere, unter anderem bei der Deutschen Bank, hat sich der stets nach neuen Wegen suchende Familienmensch 2017 selbstständig gemacht. Müller betreut Family Offices und vermögende Privatleute, arbeitete aber auch als Copy Trader. Auf unseriösen Plattformen sei es nicht ausgeschlossen, dass neun von zehn Konten gegen die Wand gefahren würden, glaubt er. Um die Anleger zu blenden, reiche ein einziges Konto, das boomt.
„Das Problem beim Copy Trading ist, dass viele Anleger von Gier getrieben sind und vom Kapitalmarkt keine Ahnung haben.“ – Sebastian Müller, Wellen Trading
Gierige Nachahmer
Gleichwohl will Müller das Copy Trading nicht verdammen. „Das Problem ist, dass viele Anleger von Gier getrieben sind und vom Kapitalmarkt keine Ahnung haben.“ Dass die Börse nur ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten sei, werde leicht vergessen. Auch nützliche Regeln würden nicht befolgt. „Zum Beispiel darauf zu achten, wie viel Kapital die Signalgeber einsetzen.“
Häufig begnügten sich die Finfluencer mit geringen Beträgen – etwa 100 Euro oder Dollar, um ihr eigenes Risiko zu begrenzen. Die Follower investierten jedoch oft sehr viel mehr Geld in ihre Positionen, merkt Müller an. Das Ganze sei jedoch kein Monopoly und die Verluste könnten eine Menge Menschen über Nacht um den Schlaf und ihre Existenz bringen.
Mit seinen Einwänden will der 38-Jährige kein Spielverderber sein. Er mahnt nur zur Vernunft. Sich selbst bezeichnet er als Perfektionisten. Seine Copy-Trading-Strategien ließ er von unabhängigen externen Plattformen verifizieren. Seine Profitabilität sei denn auch komplett transparent und überprüfbar gewesen.
„Ich habe bisher in meinem Leben über 100 Milliarden Euro im Börsenhandel abgewickelt und weiß wovon ich rede. Man muss wie ein Unternehmer vorgehen und die Gewinne sichern.“ – Sebastian Müller, Wellen Trading
Langfristig agieren
Anfänger könnten durchaus von den Handelsentscheidungen der Fachleute profitieren, hebt der studierte Betriebswirt hervor. Er rät erst einmal zu kleineren Investitionen mit niedrigeren Hebeln. Mit Copy Trading lasse sich das eigene Portfolio außerdem diversifizieren. „Ich habe bisher in meinem Leben über 100 Milliarden Euro im Börsenhandel abgewickelt und weiß, wovon ich rede.“ Man müsse wie ein Unternehmer vorgehen und die Gewinne sichern.

„Erfolg muss langfristig sein“, lautet Müllers Credo. Leider spiegelten die Social-Media-Kanäle etwas anderes vor. „Da zeigt man Burschen, die dank Copy Trading ihre italienischen Sportwagen unter Palmen Spazierenfahren und eine dicke Rolex tragen.“ Das nervt ihn. „Wenn ich solche Typen sehe und ihre Versprechungen höre, gehen bei mir sämtliche Alarmglocken an.“ Die Zocker-Szene sieht es wohl anders.
Sebastian Müller kritisiert fehlende Transparenz
David Franke hat als Copy Trader rechtzeitig die Bremse gezogen. Das verschaffte ihm Respekt. Auch seine Art zu kommunizieren, kommt offenbar an. Von Anfang an scheute er sich nicht, mit seinem bürgerlichen Namen für das gerade zu stehen, was er betreibt.
Etliche Signalgeber verstecken sich dagegen hinter Decknamen. Manche sind lustig wie „Broccoli72“. Die Anonymität scheint die Gefolgschaft nicht abzuschrecken. Copy Trading läuft. „Die Vorstellung, ohne große Umwege eine Menge Kohle abzusahnen, begeistert vor allem die Jungen“, kommentiert ein Branchenkenner.
Ein Idol ist Flo Pharell – natürlich ein Pseudonym. Der Mann, der mit einer Guy-Fawkes-Maske vor den Kameras erscheint, residiert im höchsten Hochhaus der Welt, dem 830-Meter-Turm Burj Khalifa in Dubai. Er prahlt mit einer Trefferquote von über 90 Prozent. Der 32-Jährige aus München ist schon mit 21 Jahren in das Dorado der Finfluencer ausgewandert.
Massenhaft werden seine Entscheidungen kopiert. In den klassischen Medien hält man ihm fehlende Transparenz vor. Auch sein Track Record wird bezweifelt. Seine Anhänger aber bewundern den Inszenierungskünstler.
Sebastian Müller beobachtet solche Entwicklungen mit Sorge. Auf diversen Copy-Trading-Plattformen würden fragwürdige Erfolge bejubelt und Verluste bemäntelt. Er selbst hat seit Kurzem das Copy Trading aufgegeben. Das sei vor allem ein persönlicher Entschluss gewesen. „Die Erwartungshaltung von Menschen, die ich nicht kenne, hat mir zu schaffen gemacht“, stellt der 38-Jährige fest.
Den Markt überlisten?
Ob einzelne Trader auf längere Zeit den Markt überlisten können, wird in der Wissenschaft bezweifelt. Prof. Olaf Stotz von der Frankfurt School of Finance zitiert eine Studie der US-Ökonomen Brad Barber und Terrance Odean. Demnach agieren diejenigen, die viel handeln, weniger erfolgreich als abwartende Akteure.
„Wer nur mäßige Finanzkenntnisse besitzt und auch noch selektiv informiert wird, der lässt sich halt von einer guten Show leicht überzeugen.“ – Prof. Olaf Stotz, Frankfurt School of Finance
Liegt also in der Ruhe die Kraft? Das dürften nicht nur Fondsmanager konträr bewerten. Der Professor für Asset Management und Pension Economics ist trotzdem überzeugt, dass ein Buy-and-Hold-Ansatz nachhaltiger ist. „Aber bei Investoren ist der Wunsch sehr ausgeprägt, besser zu sein als der Durchschnitt“, sagt der Hochschullehrer gegenüber Top Magazin.

„Beim Copy Trading kommt hinzu, dass gerade junge Leute sehr empfänglich sind, wenn Händler auf den Social-Media-Kanälen ihr angeblich gewonnenes Vermögen präsentieren.“ Wer nur mäßige Finanzkenntnisse besitze und auch noch selektiv informiert werde, der lasse sich halt von einer guten Show leicht überzeugen.
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