Frankfurt ist wohl wie keine andere deutsche Stadt vom Stiftungsgedanken geprägt. Seit mehr als tausend Jahren bringen Bürger ihr Vermögen zugunsten wohltätiger Zwecke ein. 622 Stiftungen haben inzwischen ihren Sitz in Frankfurt. Und die Gründungen reißen nicht ab. Die Mäzene geben Anstöße für Entwicklungen auf vielen Gebieten – nicht zuletzt für ein friedliches Miteinander der Menschen.
Die Stiftung Hospital zum heiligen Geist lässt sich bis zum Mittelalter zurückverfolgen. Heute finanziert sie noch immer das gleichnamige Hospital in der Innenstadt, aber auch das Nordwestkrankenhaus sowie andere soziale Einrichtungen. Obwohl es in der Niedrigzinsphase derzeit nicht leicht ist, den Kapitalstock zu mehren, gibt es in der gesamten Region immer neue Stiftungen mit Strahlkraft.
Gerade macht eine junge Bürgerstiftung in Frankfurt von sich reden, die den Neubau der Oper in die Hand nehmen will. Das Konzept wurde Oberbürgermeister Peter Feldmann im Februar überreicht. Die Stadt prüft den Vorschlag, der zu einer räumlichen Neuanordnung zentraler Kulturangebote führen könnte. Ein Gutachten hatte die Sanierungskosten für Oper und Schauspiel am Willy-Brandt-Platz auf fast 900 Millionen Euro taxiert.
Die Initiatoren wollen nun Spenden für ein Opernhaus an anderer Stelle sammeln und rund 50 Millionen Euro Eigenkapital organisieren. Den Rest der geschätzten Baukosten in Höhe von 240 Millionen Euro will man über Darlehen finanzieren. Die prominenten Erstunterzeichner, darunter DVAG-Vorstand und Ex-Wissenschaftsminister Udo Corts sowie Frankfurts früherer Planungsdezernent Martin Wentz, möchten die Kommune entlasten. Natürlich soll ihr Vorstoß aber auch die Entscheidung über das Gesamtvorhaben beeinflussen.
Neben der von der Politik bevorzugten Sanierung des alten Gebäudes erwägt die Frankfurter CDU nun, den Traditionsstandort Willy-Brandt-Platz für Oper und Schauspiel entweder ganz oder teilweise aufzugeben. Das neue Domizil für die Städtischen Bühnen könnte im Frankfurter Osthafen sein. Der jetzige Sitz des Baustoffhandels Raab Karcher an der Adresse Mayfarthstraße 14 ist nämlich nur noch bis 2021 vermietet.
Martin Wentz hatte diese Grundstück bereits 2018 für den Bau eines neuen Opernhauses ins Gespräch gebracht. Fänden sich Unterstützer für den Vorstoß der Frankfurter CDU bekäme die Stiftung Neue Oper zusätzliches Gewicht.
Wenn viele stiften gehen
Einzelne haben seit jeher mit ihrem Engagement den gemeinschaftlichen Zusammenhalt gefördert. Inzwischen muss man nicht mehr reich sein, um eine Stiftung ins Leben rufen zu können. Seit den 90er-Jahren liegen Bürgerstiftungen im Trend. Sie werden in der Regel von mehreren Stiftern errichtet und konzentrieren sich auf ein geografisch abgestecktes Aktionsfeld, meist eine Stadt oder einen Landkreis.
Sie führen Projekte in eigener Regie transparent durch und begreifen sich als Impulsgeber. Durch den Zusammenschluss kann eine Vielzahl von Personen etwas für die Umwelt, für benachteiligte Gruppen oder eben für die Kultur tun.
Die bürgerschaftliche Initiative zum Opernbau hat übrigens Tradition. Als die Alte Oper vor knapp 150 Jahren errichtet wurde, kam die Anschubfinanzierung ebenfalls aus der Bürgerschaft. Wohltäter und Stifter sind für jede Gemeinde wichtig. Frankfurt hat besonderes Glück. Vielleicht ist eine vom Handel geprägte Stadt prädestiniert für potentes Mäzenatentum. Das gründet sich eben nicht nur auf die Liebe zum Schönen, Wahren und Guten.
Sponsoren sind oft auch eitel und messen sich an anderen. Sie freuen sich, wenn das eigene Ansehen steigt und ihr Name auch noch in ferner Zukunft mit etwas Positivem verbunden bleibt. Früher wollten viele auch ihr Seelenheil durch Großzügigkeit retten. Doch egal, welche Motive zugrunde liegen, die Zuwendungen sind nützlich. Sie tragen im übrigen dazu bei, auch Menschen in den Blick zu nehmen, die vom Schicksal weniger begünstigt sind als die Spender.
Den Armen helfen wollte auch der Arzt Johann Wiesebeder im Jahr 1428. Er vermachte ein Kapital von 3.200 Gulden, das mit seinen Erlösen Bedürftigen zugutekommen sollte. Das hinterlassene Vermögen vertraute er dem patrizischen Frankfurter Rat an. Der wandelte 1531 die Stiftung im Zuge der Reformation in den „Allgemeinen Almosenkasten“ um. Damit betrieb er eine aktive Fürsorge, um die Verhältnisse in der Stadt zu verbessern. So konnte man sich auch vor sozialen Unruhen schützen – ein netter Nebeneffekt.
Zuwendung über 600 Jahre
Der Almosenkasten half den Benachteiligten mit Nahrung und mit Kleidung. Er kümmerte sich auch um Randgruppen, zum Beispiel um geistig Behinderte. Die aus den verschiedenen Schichten der Stadt zusammengesetzten „Kastenherren“ – die Verwalter der Stiftung – bestimmten, wie die Zinsen eingesetzt werden sollten. Die Stiftung gibt es noch. Die Erträge fließen inzwischen dem Sozialamt zu. Der Almosenkasten ist dafür verantwortlich, dass die Gelder so angelegt werden, dass in den nächsten Jahrhunderten weiter darauf zurückgegriffen werden kann.
Dagegen ist die 1763 gegründete Senckenbergische Stiftung von Anfang an auf Distanz zur Stadtregierung gegangen. Mit den 100.000 Gulden, die der Stadtphysikus Johann Christian Senckenberg schon zu Lebzeiten bereitstellte, sollte die damals sehr bescheidene Gesundheitsversorgung in Frankfurt ausgebaut werden. Mit der Zeit hat sich die von vier Medizinern und vier Kaufleuten geleitete Stiftung eng mit der Goethe-Universität verbunden. So schenkte sie der Hochschule zum 300. Geburtstag des Stifters im Jahr 2007 ein Institut für Neuroonkologie.
Auch die Anatomie und diverse Institute der Uni gehen auf die Senckenberg-Stiftung zurück, auch ein Teil der Bibliothek. Darüberhinaus ist der Botanische Garten, die Gesellschaft für Naturforschung und der Physikalische Verein von dem aufgeklärten Arzt ermöglicht worden. Sein Ziel war es, mit seinem Geld einen Tempel für die Wissenschaft zu schaffen. Das ist ihm gelungen.
Wohltäter auf dem Seziertisch
Auch das Bürgerhospital ließ der vermögende Mann und mehrfache Witwer errichten. Damals lag der Komplex am Eschenheimer Tor. Als Senckenberg am 15. November 1772 vom Uhrtürmchen auf die neuen Bauten des Krankenhauses schaute, verlor er das Gleichgewicht, fiel vom Gerüst und brach sich das Genick. Die erste Leiche, die in der gerade fertiggestellten Anatomie seziert wurde, war der Stifter selbst.
Ähnlich wie Senckenberg hat der Privatbankier und Gewürzhändler Johann Friedrich Städel (1728–1816) dazu beigetragen, dass der Ruf Frankfurts in die Welt getragen wurde. Dem Museum, das mehr als 700 Jahre Kunstgeschichte lückenlos dokumentiert, gehören unzählige Meisterwerke von Dürer über Monet und Picasso bis Gerhard Richter.
Es besitzt auch eine umfangreiche Kollektion junger Künstler. Das Städelsche Kulturinstitut, eine der frühesten kulturellen Stiftungen Deutschlands, wird von fünf Administratoren geleitet und setzt nach wie vor Maßstäbe bei der Sammeltätigkeit, der Präsentation und der Vermittlung von Kunst.
Keine hohen Hürden
Zu stiften ist wieder in Mode gekommen. „Insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten haben die Stiftungsgründungen in Frankfurt deutlich zugenommen“, sagt Stefan Jäger. Auf diese Weise würden zentrale gesellschaftliche Bereiche wie Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur, soziale Aufgaben von der Jugend- bis Altenhilfe sowie im Natur- und Umweltschutz maßgeblich unterstützt, freut sich der Pressesprecher der Stadt.
Die Hürden für die Gründung einer Stiftung sind gar nicht so hoch. Auf jeden Fall reichen als Grundstock 100.000 Euro, oft auch weniger. Eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts muss über eine Satzung verfügen und besitzt in der Regel Stiftungsorgane wie einen Stiftungsrat, einen Aufsichtsrat, einen Verwaltungsrat oder ein Kuratorium. Über die formale Anerkennung entscheidet das Regierungspräsidium in Darmstadt. Mit Hilfe des bereitgestellten Vermögens verfolgen der oder die Stifter einen festgelegten Zweck. Die Begünstigten („Destinatäre“) kommen in den Genuss der Erträge, nicht des Vermögens.
Steuervorteile bei Gemeinnützigkeit
„Die überwiegende Anzahl der Frankfurter Stiftungen sind als gemeinnützig anerkannt, berichtet Jäger. Er verweist auf die lange Tradition. Grundsätzlich gelte der „Ewigkeitsgedanke“, das heißt, dass das Stiftungskapital erhalten werden müsse. Verbrauchsstiftungen wie die Bürgerstiftung Neue Oper sind die Ausnahme. Wenn das Finanzamt den selbstlosen Zweck einer Stiftung anerkennt, gewährt es Steuervorteile. Körperschaftssteuer muss nicht gezahlt werden und auch die Befreiung von der Erbschafts- und Schenkungssteuer ist im Paket mit drin. Spender können dann auch ihren Beitrag von der Steuer absetzen.
Zu den neueren Gründungen in Frankfurt gehört die seit 1974 bestehende Hertie-Stiftung, die am Grüneburgweg im Westend residiert. Mit einem Vermögen von einer Milliarde Euro gehört sie zu den größten privaten Stiftungen Deutschlands. Initiator Georg Karg, Inhaber des Kaufhauses Hertie, hatte damals zwei Leitthemen vorgegeben. Er wollte, dass die Anstrengungen zur Erforschung des Gehirns erhöht werden. Außerdem hielt es der Kaufhaus-Besitzer für dringlich, die Demokratie mit konkreten Projekten zu unterstützen.
Zwei Einrichtungen ragen heraus: Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) in Tübingen ist bundesweit eines der modernsten Zentren zur Erforschung neurologischer Erkrankungen geworden. Das HIH beschäftigt sich unter anderem mit Alzheimer, Parkinson, Schlaganfällen, Multipler Sklerose und Tumorerkrankungen. Die Hertie School of Governance, eine staatlich anerkannte private Hochschule mit Promotionsrecht in Berlin, hat gleichfalls viel Renommee erworben. Die beiden Studiengänge mit den Abschlüssen Master of Public Policy und Master of International Affairs sind stark nachgefragt.
Auf Frankfurt bezogen – und nicht auf das Land oder die Welt – ist dagegen die 2005 geschaffene Stiftung der Polytechnischen Gesellschaft. Sie ist inzwischen mit mehr als 420 Millionen Euro ausgestattet. Sie versteht sich als „Werkbank“ für die Stadtgesellschaft von Mainhattan.
18 Leitprojekte verteilen sich auf die Schwerpunkte Familienbildung, Sprachbildung, kulturelle Bildung, Hinführung zu Naturwissenschaft und Technik und Förderung des Bürgerengagements. Mehrere Vorhaben wie der Deutschsommer (Drittklässler erhalten in den ersten Wochen der Sommerferien eine Sprachförderung) und das Diesterweg-Stipendium (gemeinsame Förderung von Eltern und Kindern bei deren Übergang aus der Grundschule in die fünfte Klasse) besitzen Modellcharakter und wurden von anderen Städten und Gemeinden übernommen.
Die Vespa als Kulturgut
Auch in der Rhein-Main-Region wirken Stiftungen mit großer Strahlkraft. Am bekanntesten ist vielleicht die Stiftung Deutsche Sporthilfe in Wiesbaden, die Spitzensportler und Talente in der ganzen Republik fördert. Die Linsenhoff-Stiftung in Kronberg im Taunus möchte sicherstellen, dass gesellschaftliche Chancen wahrgenommen werden können.
Im Mittelpunkt steht der gleichberechtigte Zugang zur Bildung. Vorsitzende der Stiftung ist Ann Kathrin Linsenhoff. „Unsere Familie hat schon immer dort geholfen, wo es am notwendigsten war“, konstatiert die ehemalige Dressurreiterin und Goldmedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen von Seoul. Es geht ihr um eine optimale individuelle Förderung, die schon früh einsetzen sollte. Im Fokus stehen diejenigen Zuwanderer, Frauen und Mädchen, die Hilfe benötigen.
Nicht immer übrigens muss eine gemeinnützige Stiftung das große Ganze schultern. Die Frankfurterin Renate Gräfe hat vor einigen Jahren einen sechsstelligen Betrag gestiftet, dessen Zinserlöse für die „Restaurierung, Erhaltung und Präsentation historischer Fahrzeuge, Zubehör, Modelle und Literatur vorwiegend der Marke Vespa“ verwendet werden. Auch auf solche Weise kann ein Stifter der Allgemeinheit dienen.
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