Wikipedia listet unter Hessischen Adelsgeschlechtern rund 150 auf, darunter heute noch bekannte Namen wie Malsburg, Schenck zu Schweinsberg, Stolberg oder Verschuer. Hessens Hochadel ist sogar mit den regierenden Häusern Europas eng verwandt und zählt neben dem Welfenhaus und den Wittelsbachern zu den traditionsreichsten Dynastien des deutschen Adels. Von Sabine Börchers
Das Haus Hessen entstammt dem Fürstenhaus Lothringen-Brabant und einem Zweig der Ludowinger, den Landgrafen von Thüringen. Sehr detailreich nachzulesen ist das in dem Buch „Die Hessens“, in dem ihr Nachfahre, Rainer Christoph Friedrich Prinz von Hessen, Onkel des heutigen Landgrafen, kürzlich die Familiengeschichte, inklusive der Verstrickungen in das Hitler-Regime, aufgearbeitet hat. Am Anfang dieser Geschichte steht eine Frau.
Als Stammmutter gilt die heilige Elisabeth von Thüringen, deren Enkel Heinrich erster Landgraf von Hessen wurde, nachdem er sich im Kampf um die Selbstständigkeit gegen die Erzbischöfe von Mainz durchsetzte. Der Stammsitz Elisabeths ist einer der ikonografischen Orte deutscher Kultur, die Wartburg bei Eisenach, auf der im Mittelalter der Dichterwettstreit der Minnesänger stattfand, der Richard Wagner zu seiner Oper „Tannhäuser“ inspirierte und an dem auch Martin Luther sich im Jahr 1521 versteckt hielt.
Der bedeutendste hessische Landgraf, Philipp der Großmütige, war begeisterter Anhänger Luthers, führte die protestantische Bewegung an und reformierte Staat und Kirche in Hessen. Er gründete 1527 die Universität Marburg als erste protestantische Universität. „Vom 16. bis 18. Jahrhundert lagen die Hessens auch in der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung vorn“, betont der Familienhistoriker.
Nach dem Tode Philipps wurde die Landgrafenschaft von Hessen auf seine vier Söhne aufgeteilt. Es entstanden daraus die beiden Linien Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel. Letzterer verdankt die Stadt repräsentative Bauten wie das Schloss Wilhelmshöhe und das Fridericianum, den ersten öffentlichen Museumsbau auf dem europäischen Kontinent.
Geschickte Heiratspolitik
Friedrich von Hessen-Kassel regierte dank einer geschickten Heiratspolitik von 1720 bis 1751 sogar als König von Schweden, musste aber dem schwedischen Reichstag die eigentliche Macht überlassen. Weil das Land finanziell in Schwierigkeiten war, er aber entsprechend Hof halten wollte, flossen in diesen Jahren astronomische Summen von Kassel nach Stockholm. Seine Nachfolger in Hessen mussten das ausbaden. Für einen von ihnen habe sich 1803 aber immerhin ein schon von den Vorgängern gehegter Traum erfüllt, „als er infolge der neuen Friedensordnung zum Kurfürsten aufstieg“, schreibt Rainer Prinz von Hessen. Nach altem Adelsrecht hat daher der heutige Landgraf noch Anspruch darauf, mit „Königlicher Hoheit“ angesprochen zu werden.
Die zweite Linie des Hauses war nicht weniger erfolgreich in ihrer Heiratspolitik. Marie von Hessen-Darmstadt vermählte sich 1841 als 17-Jährige mit dem russischen Thronfolger Alexander II. und wurde 14 Jahre später Zarin von Russland. „Maries Bruder, Prinz Alexander von Hessen und bei Rhein, sollte durch die unebenbürtige Heirat mit einem Hoffräulein seiner Schwester, Julie Gräfin Hauke, Stammvater der Battenbergs/Mountbattens werden“, berichtet Rainer von Hessen, der in seinem Buch auch von einigen außerehelichen Affären der Landgrafen und Kurfürsten erzählt, die selbst zu politischen Verwicklungen führten.
Auch künstlerisch verdankt Darmstadt den Hessens viel. Der letzte Großherzog Ernst Ludwig und Lieblingsenkel von Königin Victoria von England, errichtete die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe. Mit seiner Schwiegertochter, Prinzessin Margaret, die auf Schloss Wolfsgarten südlich von Langen lebte, verstarb 1997 die letzte lebende Vertreterin des Hauses Hessen-Darmstadt. Ein Flugzeugabsturz hatte fast die gesamte Familie ihres Mannes Ludwig, die auf dem Weg zu ihrer Hochzeit nach London war, im November 1937 ausgelöscht. Da Ludwig und Margaret kinderlos blieben, adoptierte er 1960 seinen Neffen Moritz von Hessen aus der Linie Kassel-Rumpenheim, so dass die seit 1567 getrennten Linien wieder zusammenfanden.
Verwandte der Queen
Oberhaupt des Hauses Hessen ist seit 2013 dessen Sohn Heinrich Donatus Landgraf von Hessen, den die Familie kurz Don nennt. Er besuchte das Eliteinternat Luisenlund und studierte in Hamburg Betriebswirtschaft, bevor er vor fünf Jahren, nach dem Tod des Vaters Moritz, das Haus übernahm. Er gilt als lässig und als jemand, der keinen großen Wert auf höfische Etikette legt. Mit seiner Frau Floria, einer geborenen Gräfin von Faber-Castell, und den drei Kindern lebt er im Schloss Wolfsgarten in Langen, wo sie zweimal im Jahr zum öffentlichen Fürstlichen Gartenfest einladen. Dort wohnt heute auch Rainer Prinz von Hessen, der zunächst Regieassistenz am Staatstheater Darmstadt gelernt und in den 1960er Jahren am Staatstheater Kassel inszeniert hat, bevor er lange in Paris lebte.
Der Landgraf führt die Hessische Hausstiftung, die das Erbe der Familie verwaltet, darunter das Schlosshotel Kronberg und das Hotel Hessischer Hof in Frankfurt. Das Museum der Stiftung befindet sich im Barockschloss Fasanerie bei Fulda. Auch der Kontakt zur erlauchten Verwandtschaft wird gepflegt.
Der Darmstädter Linie der Familie entstammt, wie gesagt, das Haus Battenberg, deren englischer Zweig seit 1917 den Namen Mountbatten trägt. Ihr berühmtester Vertreter ist Prinz Philip, der Mann von Königin Elisabeth II. von Großbritannien. Landgraf Moritz berichtete zu seinen Lebzeiten davon, dass er jedes Jahr ins Schloss Windsor eingeladen wurde. Wegen der engen Familienbande begrüßte Großneffe Heinrich Donatus Landgraf von Hessen die Englische Königin und ihren Mann vor drei Jahren auch bei ihrem ersten Staatsbesuch in Frankfurt und saß beim offiziellen Mittagessen im Kaisersaal neben ihr. Privat sei die Königsfamilie bis in die neuere Vergangenheit schon häufiger in Hessen gewesen, ist vom Landgrafen zu hören.
Von Offenbach bis Büdingen
Auch das Haus Isenburg, das im 11. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt ist, zählt zu den älteren Dynastien Hessens. Stammvater ist Reinbold I. Graf von Isenburg. Durch Heirat erwarb die Familie auch die Herrschaft über Büdingen. Später kam Offenbach hinzu. Heute existieren noch zwei Linien: die Birsteiner mit Franz Alexander Fürst von Isenburg an der Spitze, der in München lebt. Seine Tochter heiratete Georg Friedrich Prinz von Preußen, den Urenkel des letzten deutschen Kaisers. Das einstige Residenzschloss der Isenburg-Birsteiner in Offenbach ist heute Universitäts-Gebäude.
Die zweite Linie lebt auf Schloss Büdingen, einem der ältesten Schlösser Hessens. Wolfgang Ernst Fürst zu Ysenburg und Büdingen und seine Frau Leonille, geborene Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, übernahmen 1990 die umfangreichen Wirtschaftsunternehmen des Hauses, die danach in wirtschaftliche Schieflage gerieten. Der Fürst musste die traditionsreiche Brauerei und einen der größten Forstbetriebe Deutschlands verkaufen. Das Waechtersbacher Keramik-Unternehmen wurde insolvent. 2011 musste auch die Familiengesellschaft Insolvenz
anmelden.
Die Familie führt heute das Schloss samt des dortigen Hotels weiter, bei dem die Fürstin durchaus mal selbst ans Telefon geht. Die Schlossherren luden auch in diesem Spätsommer zur Landpartie ein, dem traditionellen Gartenfest. Alexandra, die Schwester des Fürsten, heiratete 1960 Welf Heinrich Prinz von Hannover, von Großbritannien und Irland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, der als Bankkaufmann in Frankfurt tätig war. Die beliebte Frankfurter CDU-Politikerin starb im Juni 2015.
Gesellschaftliche Verantwortung
Rein rechtlich hat der Adel auch in Hessen jegliche Bedeutung verloren, seit er im Jahr 1919 durch die Weimarer Verfassung abgeschafft wurde. Die meisten Mitglieder hessischer Adels-Linien gehen heute einem bürgerlichen Beruf nach, wobei gesellschaftliches Engagement bei ihnen stark vertreten ist. Aus der Politik ist ein weiterer hessischer Name bekannt: Hermann Otto Solms, der, geboren als Hermann Otto Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich, im politischen Alltag seinen Namen verkürzte, ist langjähriger Bundesschatzmeister der FDP und war bis 2013 einer der Vizepräsidenten des Deutschen Bundestags. Er stammt aus dem Haus Solms, das 1129 erstmals erwähnt und nach dem Solmsbach im Lahngau benannt ist. Sein Bruder Philipp-Reinhard 8. Fürst zu Solms-Hohensolms-Lich lebt heute als Chef des Hauses auf dem Schloss in Lich. Die Familie ist weit verzweigt und verfügt über zahlreiche Schlösser.
Nicht ganz so standesgemäß wohnt Dr. med. Titus Freiherr Schenck zu Schweinsberg, Vertreter des hessischen Uradels aus dem gleichnamigen Ort, der heute zu Stadtallendorf gehört. Seine Vorfahren waren Erbschenken von Hessen. Die Burg Schweinsberg hat ein Verwandter mittlerweile verkauft, der Mediziner bewohnt einen der Landsitze im Ort. Nebenberuflich ist auch er als Vorstandsvorsitzende des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen in der Verbandspolitik tätig. „Es ist bei mir familiär angelegt, Verantwortung für andere zu übernehmen“, betont er.
Das Leben eines typischen Landadeligen führte er allerdings nicht, sein Vater war in der Autoindustrie tätig, er wuchs zunächst in Hamburg, nicht in Schweinsberg auf. Heute jedoch duzen ihn die meisten der 1.200 Einwohner in dem Stadtteil, in den er als 13-Jähriger zog. Wenn er sich am Telefon meldet, dann ganz bescheiden, nur mit Schenck.
Allerdings würden nicht alle Vertreter des niederen Adels so denken, räumt er ein. In seinen Kreisen gelte die Faustregel: Je weniger Grundbesitz, desto hochnäsiger. „Für die Angestellten des Forstbetriebes bin ich noch der Herr Baron, so war das schon immer.“ Diesen Betrieb, den er mit einigen seiner zahlreichen Vettern und anderen Anteilseigern besitzt, verwaltet er treuhänderisch, auch da war es ihm wichtig, Verantwortung zu übernehmen.
Als kulturtragend und gesellschaftliches Vorbild will Freiherr Schenck zu Schweinsberg den Adel heute allerdings nicht mehr zwangsläufig verstehen. Die Idole veränderten sich zu schnell. Zudem würden viele Adeligen heute in bürgerlichen Verhältnissen aufwachsen, weil sie über keinen Besitz mehr verfügten. „Der Adel steht da im Wettbewerb mit vielen anderen Individuen. Und warum sollte jemand, nur weil er einen längeren Nachnamen hat, besser oder schlechter sein.“
Buch-Tipp
- Kulturstiftung des Hauses Hessen, Archiv des Hauses Hessen, Museum Schloss Fasanerie (Author)
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