Altertümliche Rituale und Symbole, die bis heute Gerüchte nähren. Totenkopf, formelhafte „Tempel“-Gespräche und das Streben nach sittlicher Veredlung. Um die verschwiegenen Freimaurer ranken sich viele Legenden. Doch sie sind transparenter geworden und öffnen sich wie die Frankfurter Loge „Zur Einigkeit“ der Öffentlichkeit. Wir waren zu Gast in zwei Logenhäusern.
Text: Dr. Jutta Failing, Fotos: Michael Hohmann
„Schon lange hatte ich einige Veranlassung zu wünschen, dass ich mit zur Gesellschaft der Freimaurer gehören möchte … dieses gesellige Gefühl ist es allein, was mich um die Aufnahme nachsuchen lässt“, schrieb Johann Wolfgang Goethe im Februar 1780 an den Staatsminister und Kabinettschef Freiherrn von Fritsch, dem Meister vom Stuhl der Weimarer Loge „Anna Amalia“.
Das Gesuch hatte Erfolg und der gebürtige Frankfurter betrat die freimaurerische Welt, lernte die fremden Rituale kennen – und erhielt als „Lehrling“ nicht nur weiße Handschuhe, sondern nach altem Brauch zudem ein Paar Damenhandschuhe, um diese dem Menschen anzuvertrauen, der seinem Herzen am nächsten stand. Goethe sandte das Paar an Charlotte von Stein: „Die berühmten Handschuhe kommen hierbei…“, ließ er die Seelenverwandte wissen.
„Noch heute erhalten neue Brüder den Damenhandschuh zur Weitergabe“, erklärt Friedhold Andreas, amtierender „Meister vom Stuhl“ der Freimaurerloge „Zur Einigkeit“ im Frankfurter Bahnhofsviertel. Vor genau 275 Jahren wurde die Loge gegründet und ist damit eine der ältesten und mit rund 150 Mitgliedern eine der größten Freimaurerlogen in Deutschland.
Frankfurter kennen das herrschaftliche, 1896 bezogene Logenhaus von den „Bahnhofsviertelnächten“, wenn bei Führungen der prächtige Festsaal gezeigt wird. In die rätselhafte „Schwarze Kammer“ aber, die in jedem Logenhaus zu finden ist, will Friedhold Andreas auch uns nicht führen, zu vertraulich.
Doch dazu später mehr. „Unsere Loge wurde am 27. Juni 1742 feierlich konstituiert, unmittelbar nach der Kaiserkrönung Karl VII., als in Frankfurt die Diplomaten Europas versammelt waren. Unter diesen waren viele Freimaurer, und auch ein Teil unserer Gründer hatte zuvor im Ausland zur Freimaurerei gefunden“, erläutert Friedhold Andreas die Anfänge.
Geheimhaltung war überlebenswichtig. Wir entdecken bekannte Namen im Matrikelbuch, das sämtliche Mitglieder aus alter Zeit auflistet, etwa den Armenarzt und „Struwwelpeter“-Autor Heinrich Hoffmann, dessen Vater schon Freimaurer war, oder den Klaviervirtuosen Franz Liszt, der im Jahr 1841 „zum Zeichen seiner geübten Pflege der Menschlichkeit und Hilfeleistung“ unter der Bürgschaft des Komponisten Wilhelm Speyer aufgenommen wurde.
Ein Leumundsbürge ist nach wie vor die Voraussetzung, um in den Bruderkreis aufgenommen zu werden. „Wir nehmen jeden Mann von gutem Ruf auf, doch findet ein Vertrauensbruch statt, muss er die Loge verlassen“, macht Archivar Hans Koller deutlich, der seit 30 Jahren der Loge „Zur Einigkeit“ angehört und früher eine Werbeagentur leitete.
„Zusammenkünfte, bei denen man frei und unabhängig von Herkunft, Stand und Religion sprechen konnte, stellten vor 300 Jahren eine Revolution dar. Auch Goethe sprach in seiner Loge anders als außerhalb“ – Hans Koller
Rund 40 Meter Akten betreut er in den engen Archivräumen, und oft hat er mit dem Durcheinander zu tun, welches das Geheime Staatsarchiv in Merseburg in die Akten brachte. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten 1935 das Archiv, nach dem Krieg gelangte es nach Moskau und von dort in die ehemalige DDR.
„Damals enteignete Gemälde vermuten wir noch in Frankfurt“, sagt Koller. Ein weites Feld, was die völkische Bewegung an wilden Gerüchten über die Freimaurerei in Umlauf setzte. Adolf Hitler war überzeugt, dass die Freimaurer gemeinsam mit den Juden die europäische Politik und die Presse lenkten, und ließ nach seiner Machtergreifung alle deutschen Logen schließen. Von außen bekämpft zu werden, hat die deutschen Bruderschaften von Beginn an verschwiegen werden lassen.
„Zusammenkünfte, bei denen man frei und unabhängig von Herkunft, Stand und Religion sprechen konnte, der Adlige mit dem Bürger, stellten vor 300 Jahren, in der Zeit der Aufklärung, eine Revolution dar. Auch Goethe sprach in seiner Loge anders als außerhalb“, erläutert Hans Koller und weiß zu berichten, wie sich einst das ganze familiäre Leben bekannter Frankfurter Persönlichkeiten in der Loge abspielte. Selbst Taufen und Hochzeiten feierte man im Logenhaus.
Rituale und lebenslanges Lernen
Der Wirtschaftsjurist Friedhold Andreas war schon über die Lebensmitte, als er zu den Freimaurern stieß. Vor sechs Jahren entschied er sich zur „Arbeit am unbehauenen, rauen Stein“, sprich zur Arbeit an der Persönlichkeit, wie die Freimaurer das Gleichnis benennen. Angezogen von der besonderen Gesprächskultur, besuchte der Frankfurter die öffentlichen Abende, wurde zunächst Lehrling, dann Geselle.
Die Brüder verstehen sich als Mitglieder eines humanistischen Bundes, der sich den aufklärerischen Grundwerten wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verpflichtet sieht. „In der Freimaurerei geht es um die Arbeit an sich selbst“, erläutert der Meister vom Stuhl den Weg, den jeder Bruder geht, „und die Freimaurerei ist eine sehr individuelle Reise. Selbsterkenntnis ist ein wichtiger Schritt bei dieser Aufgabe, die im Grunde nie endet.“
Über die Rituale im Einzelnen möchte der Meister nicht sprechen, ohnehin seien die meisten im Internet auf ausländischen Seiten beschrieben, sagt er. Stimmt es, dass sich Freimaurer untereinander an einem besonderen Händedruck erkennen? Schweigen. Stimmt es, dass in der „Schwarzen Kammer“ ein Totenkopf liegt?
Wieder Schweigen. Und da wir schon beim hartnäckigen Nachbohren sind, werfen wir noch das Schreckenswort „Illuminaten“ in den Raum, schließlich gehörte auch Goethe zu diesen. Seit Hollywood sich mit den Romanen von Dan Brown beschäftigt, verbinden viele den 1785 verbotenen Geheimorden mit einer mysteriösen Bedrohung.
Der Meister vom Stuhl stellt klar: „Es mag heute Menschen geben, die sich Illuminaten nennen. Aber das ist weit entfernt von den llluminaten, wie sie unsere Brüder Ende des 18. Jahrhunderts kennengelernt haben. Wir haben in unserer Loge nichts mit Illuminaten zu tun, weder mit Weltverschwörung noch mit Alchemie oder Magie. Wir sind ein eingetragener Verein, der sich der Humanität verschrieben hat, wir verpflichten unsere Mitglieder zur Menschlichkeit und bieten das Umfeld dazu – kurz, wir bieten Wissen an, ohne Dogma und Parteiprogramm.“
Den Schurz um die Hüften
Wir betreten den Tempel. Obgleich in ihm nichts angebetet wird, wirkt er doch sakral. Ein rechteckiger Saal ohne Fenster – nichts soll vom Wort ablenken. Die Sitzordnung ist den spätmittelalterlichen Bauhütten entlehnt, alles führt zum Stuhl des Meisters hin. Bei der „Tempelarbeit“ tragen die hier versammelten Brüder einen Schurz um die Hüften, auch dieser erinnert an die Steinmetze.
Lehrling, Geselle und Meister, die Übergänge sind mit Initiationsritualen besetzt. Sorgfältig gesprochene Worte und Formeln, dazu Bewegungsabläufe, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert haben. Zirkel und Hammer, die mit geistigen Inhalten aufgeladen sind, und geteiltes Wissen – wir malen uns die freimaurerischen Zusammenkünfte in diesem Saal gedanklich aus, denn am Ritual teilzunehmen bleibt Außenstehenden verwehrt. Im Prinzip schweißt hier die Brüder zusammen, was diskrete Gemeinschaften stets verbindet – was im Tempel passiert, bleibt im Tempel.
Drei Ringe im Westend
Die Bankenstadt zählt mehr als 400 Freimaurer, organisiert in sieben Logen. Männer mit verschiedenen weltanschaulichen, religiösen und politischen Überzeugungen kommen dort unter dem Dach der Freimaurerei zusammen. Doch nur wenige kommunizieren ihre Mitgliedschaft, obgleich die Logen mit einer Reihe von öffentlichen Charity-Aktivitäten auftreten, etwa dem „Burns Supper“ zu Ehren des schottischen Freimaurers Robert Burns. Zu diesem Fest erklingt dann auch im Haus der Freimaurerloge „Lessing“ Dudelsackmusik.
Finkenhofstraße 17: Draußen vor der Tür verrät das Klingelschild, dass hier mehrere Logen beheimatet sind. Rolf Keil, Altstuhlmeister der jungen, da erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründeten Loge Lessing, ist auf viele Fragen eingestellt, als er uns ins Logenhaus bittet.
Geschichte und die bürgerliche Revolution haben den 56-Jährigen früh interessiert, vor 30 Jahren kam der Rheingauer zur Freimaurerei. „Die Loge Lessing zog mich aufgrund ihrer ausgeprägten Streit- und Diskussionskultur an. Die drei Ringe als Erkennungszeichen der Loge Lessing beziehen sich auf die lessingsche Ringparabel, welche die Gleichwertigkeit der Religionen lehrt und daraus das Toleranzgebot ableitet, dem sich die Freimaurer in besonderem Maß verpflichtet fühlen“, erläutert Keil.
Die Ringe sehen wir wieder als Verzierung an einem Spind im Vorraum des Tempels. In dem schmalen Schrank erhaschen wir den Blick auf einen künstlichen Schädel. Endlich erfahren wir mehr aus erster Hand. „Logen haben einen Kabinettraum, völlig schwarz, darin Stuhl, Tisch, Totenschädel und eine brennende Kerze. Aus dieser Kammer des stillen Nachdenkens, wo man vielleicht 30 Minuten allein verweilt, geht der Mensch zum Aufnahmeritual in den Tempel.“
Symbole sind bei den Freimaurern allgegenwärtig. Während einer Tempel-Zeremonie wird auf dem Boden in der Mitte des Raums ein großer „Arbeitsteppich“ ausgelegt, auf dem die Insignien und Symbole der Freimaurer abgebildet sind. Rolf Keil rollt für uns den Teppich aus, doch er lüftet damit kein Geheimnis, denn alles haben frei zugängliche Schriften bereits im 18. Jahrhundert ausgeplaudert.
Traue nicht nur dem Händedruck
Wirklich alles? Vermutlich nicht, denn „Geheimnisse“ sind Programm. Dass Freimaurer sind nicht gegenseitig outen, ist ein ungeschriebenes Gesetz. „Ich würde nie allein auf einen Händedruck vertrauen, um einen Bruder zu erkennen, dazu gehört viel mehr, etwa Erfahrungen, die man sich nicht anlesen kann“, betont der Altstuhlmeister und fasst einen Wesenskern zusammen: „Rituale sind dazu da, um ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und zentrale Werte der Gemeinschaft nachhaltig zu verstärken.“
Die Aufnahme im Bruderkreis wird geheim mit weißen und schwarzen Kugeln abgestimmt. „Man darf nicht mehr als drei Gegenstimmen erhalten“, erklärt das hochrangige Logenmitglied. Für Mitglieder sind Monatsbeiträge fällig, ansonsten finanziert sich das Logenhaus über die Vermietung ihres Festsaals und der Verpachtung der „Logenhaus“-Bar im Erdgeschoss. Alles reine Männersache? Mitnichten. Frauenlogen gibt es in Deutschland seit 1949. Rolf Keil macht uns auf einen Arbeitskreis aufmerksam, der die Gründung einer Frankfurter Frauenloge namens „Confidentia“ (Ernsthaftigkeit) verfolgt.
Die Mitglieder sind Freimaurerinnen aus verschiedenen Logen, die mit Unterstützung ihrer Mutterlogen die Arbeit im Haus der Loge „Zur Einigkeit“ aufgenommen haben. Verschwiegen sind auch Logen-Damen seit jeher. Wer weiß denn schon, dass die Tänzerin Josephine Baker Mitglied einer französischen Loge war?
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