Seit Januar leitet Niels Ewerbeck das Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm, das jetzt nach großem Umbau wieder eröffnet wurde. Top Magazin traf den leidenschaftlichen Intendanten vorab auf der Baustelle und sprach mit ihm über Experimente, Pläne und wichtige Glücksgefühle. Text: Dr. Jutta Failing, Foto: Michael Hohmann
© Top Magazin Frankfurt
Ob er schon auf Frankfurts Straßen erkannt werde? „Keine Ahnung“, sagt Niels Ewerbeck lachend. Eine Liedlänge, keine drei Minuten, braucht der neue Intendant, um von seiner Bornheimer Wohnung zum Mousonturm zu radeln. Seine alte Zürcher Wohnung habe er fast identisch übernehmen können, was das Ankommen immens erleichterte. „Ich stellte die Möbel hin und war schon zuhause“. Der gebürtige Kölner, der gerade fünfzig geworden ist, hat den Ruf eines Theaterleiters ohne Allüren, eines stillen Schaffers, dem Selbstinszenierungen fernliegen. In Zürich, wo er sechs Jahre am Theaterhaus Gessnerallee, dem größten freien Theaterhaus der Schweiz, tätig war, schätzte man diese Art sehr, denn sie zog enorme Erfolge nach sich. Nicht zuletzt gelang es ihm dort, die Zuschauerzahlen zu verdoppeln. Auch frühere Stationen des gelernten Kunsthistorikers, etwa Engagements am Hebbel-Theater in Berlin und beim Festival Theater der Welt in Dresden sowie die Gründung des FFT Düsseldorf (Forum Freies Theater), belegen sein glückliches Händchen für die Avantgarde – und den löblichen Anspruch, „Hochkultur“ auch für Menschen attraktiv zu machen, die dieser eher fern stehen. Realistisch, was die Finanzen angeht, ist er außerdem. „Ich habe mein Budget aufgestellt vor dem Hintergrund, dass ich acht Monate im Mousonturm kein Programm zeigen kann, aber einen Umbau initiiere, der den Kulturhaushalt der Stadt überhaupt keinen Pfennig kostet, hier wurden also keine Steuergelder verprasst “, so Ewerbeck. Nach dem „Lüften“-Festival im Juni zogen für ihn ein paar dunkle Wolken auf, die Publikumsresonanz auf das interdisziplinäre Spektakel rund um die Höchster Jahrhunderthalle war weitaus schlechter als erwartet. „Ein Dämpfer, ganz klar. Aber das Festival ist nicht gescheitert, künstlerisch ist es ein sehr geglücktes Experiment, Presse und Künstler aller beteiligten Sparten bestätigen das.“
Ich will Reibung
Im neuen Foyer, das mit der Gastronomie nun eine wohltuende kommunikative Einheit bildet, bringt Tim Etchells‘ Neonlicht- Installation das Ewerbeck’sche Programm auf den Punkt: „The future will be confusing“. In Zeiten global schwindender Sicherheiten ist das kein launiges Statement. „Diese Arbeit von Etchells ist für mich extrem wichtig, da sie den Kern dessen beschreibt, was ein Haus wie der Mousonturm können soll: Versprechungen auf eine sichere Zukunft, die uns täglich gegeben werden, substanziell zu misstrauen, und dieses Misstrauen produktiv aber auch lustvoll zu hegen. So sind wir kein Haus, das einfach nur schöne Dinge präsentiert, die den Alltag vergessen lassen, hier soll an der Gegenwart mitgearbeitet werden. Ich will Reibung mit Menschen erzeugen,
die Lust haben, sich dem zu stellen, und sie dazu zu bewegen, ausder rein rezeptiven Haltung des Zuschauers herauszutreten.“ Ewerbeck vergleicht sein Haus, Teil eines kleinen Netzwerks freier, unabhängiger Theater, mit einem Labor, das mit Experimenten Freiräume schafft, die in einer demokratischen Gesellschaft überlebenswichtig seien. „Jedes Experiment bringt Ergebnisse, die weiterführen, auch das gescheiterte.“ Für dieses laborhafte Arbeiten im Kerngeschäft Tanz, Performance und Theater will er bestmögliche Bedingungen schaffen. „Das ist mein Job, ich habe mich nie selbst als Künstler verstanden, mir geht es darum, Kunst zu ermöglichen, das heißt einerseits Künstlern Freiräume für ihre kreative Arbeit zu verschaffen und andererseits dem Publikum Wege zu ebnen und Türen zu öffnen, um sich mit diesen Künstlern und ihrer Arbeit auseinander zu setzen.“ Bis hin zum Essen denkt Ewerbeck an das Wohl seiner Künstler, daher gibt es eine neue, „nahrhafte“ Gastronomie im Haus zu erschwinglichen Preisen. „Ich kann Tänzer nicht mit 500 Kalorien abspeisen!“
We need to talk
Der Saal ist kaum wiederzuerkennen. Die mittigen Säulen und der Rang sind entfernt, die Bühne um vier auf 14 Meter verbreitert und dank komplett neuer Technik elektronisch ausziehbar. Auch neu: Der Zuschauer sieht von oben auf das gesamte Bühnengeschehen. Beste Voraussetzungen also für die aktuelle britisch-deutsche Produktion „Before your very eyes“, bei der jugendliche Schauspieler in die eigene Zukunft schauen – auf sich selbst als Erwachsene und gleichzeitig nostalgisch zurück in ihre jüngste Vergangenheit. Ideal auch für eine Auftragsarbeit vom Schweizer Mats Staub, der die Bewohner des Altenstifts in direkter Nachbarschaft des Mousonturms über das Erwachsensein, ihren 21. Geburtstag, befragte. Weitere Schweizer Künstler und internationale „Perlen“ werden nach Frankfurt kommen, darunter die Tänzerin und Choreografin Simone Aughterlony, die anlässlich der Buchmesse mit Schwerpunkt Neuseeland ihr Projekt „We need to talk“ vorstellt. Glück ist für Ewerbeck ein wichtiger Motor: „Ein Grund, warum ich meine Arbeit so wahnsinnig gern mag, sind die Glücksgefühle, die ich angesichts einer gelungenen Produktion empfinde. Und dieses Glück möchte ich natürlich mit möglichst vielen Menschen teilen.“
www.mousonturm.de