Baustellen, Krane und Gerüste überall. Die Stadt erfindet sich gerade neu. Rund 20 Hochhäuser werden das Gesicht Frankfurts in den nächsten fünf Jahren verändern. Einige stehen kurz vor der Fertigstellung, für andere sind Baugruben ausgehoben, dritte existieren erst im Entwurf.
Spektakuläre Objekte setzen Akzente vor allem in der westlichen Innenstadt. Die aktuelle Entwicklung ist kein blinder Modernismus. Alte Stadtstrukturen, nach dem Zweiten Weltkrieg zubetoniert, werden wiederentdeckt – ein spannender Prozess.
Von Thomas Zorn
Im Maintor-Viertel ist das meiste schon sichtbar. Der WINX-Tower, mit 110 Metern die Krönung des Quartiers, wird in diesem Jahr fertiggestellt und Anfang 2018 bezogen. Die Degussa, als Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt 1873 in Frankfurt gegründet, hatte das Areal nach dem Zweiten Weltkrieg für den Ausbau ihrer Zentrale genutzt und für die Öffentlichkeit abgeriegelt.
Als das Unternehmen nach Düsseldorf verlegt wurde, erwarb der Projektentwickler DIC 2005 das große, direkt am Main gelegene Grundstück. Inzwischen wird das Projekt von der GEG German Estate Group AG gemanagt und umgesetzt.
„Wir geben der Stadt ein urbanes und lichtdurchflutetes Viertel zurück“, sagt Jörg Werner, Geschäftsführer der GEG. Seit 2013 begleitet er die Planungen. „Jahrzehntelang konnte niemand Unbefugtes dort hinein. Nun ist ein Quartier entstanden mit mehr als 3.000 Arbeitsplätzen, 200 exklusiven Wohnungen, mit vielfältiger Gastronomie und interessanten Einkaufsmöglichkeiten.“
Der von dem Frankfurter Architekten Jürgen Engel entworfene WINX überragt die schon bezogenen Maintor-Hochhäuser (Maintor-Panorama 64 Meter, Maintor-Primus 46 Meter und Maintor-Porta 70 Meter) und ordnet sich harmonisch in das Ensemble ein. Eine schmale Fuge verbindet zwei nach innen gewölbte Baukörper. Der Dachabschluss formt ein X, das für WINX steht.
Die besondere Stellung dieses Turms verrät schon das Material. Während die ihn umrahmenden Bauten mit solidem Naturstein verkleidet sind, gibt ihm die Glas-Aluminium-Fassade etwas Luftig-Leichtes. „Von innen hat man einen phantastischen Blick auf den Fluss und die Stadt“, schwärmt Jörg Werner, der als gelernter Maurer, Bauingenieur und Immobilienökonom normalerweise ein Freund nüchterner Betrachtung ist.
43.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche stehen dem WINX oberirdisch in 28 Etagen zur Verfügung. Über 70 Prozent der Flächen sind bereits vermietet, überwiegend an die Fondsgesellschaft Union Investment. Ein siebenstöckiges Portalgebäude an der Neuen Mainzer Straße mit 800 Quadratmeter großer Dachterrasse und der Restaurant-Kette Vapiano als Nutzer auf zwei Etagen wird das Entrée für das Bürogebäude bilden. Eine elf Meter hohe transparente Lobby gibt demnächst den Blick – wie in einer Theater-Inszenierung – auf den Turm frei.
Die Büros dort haben mit 2,90 Metern ungewöhnlich hohe Decken und bodentiefe Fenster. Die Gedanken am Schreibtisch kann man also fliegen lassen. Ins Erdgeschoss wird ein Spitzen-Restaurant zur Maintor-Plaza hin einziehen. „Wir stehen noch in Verhandlungen“, berichtet Werner. Der von der Frankfurter Innenarchitektin Oana Rosen entwickelte zentrale Platz soll mit Geschäften und Lokalen zum Anziehungspunkt für die Stadt werden.
Der „Riverside Financial District“ ist direkt an die Altstadt angebunden. Die Alte Mainzer Gasse als Verbindung für Fußgänger und Radfahrer gibt es in diesem Abschnitt wieder. Rund 800 Millionen Euro wurden insgesamt in das Maintor-Viertel investiert. „Wir haben alle Gebäude erfolgreich an den Markt gebracht“, resümiert Jörg Werner. Der WINX ging bereits im November 2014 an die Unternehmerin Susanne Klatten (unter anderem Altana AG, BMW).
Die Erlöse aus den Verkäufen werden nicht verraten. Klar ist aber, dass heute – bei anhaltendem Immobilienboom – noch deutlich mehr hätte erzielt werden können. „Man muss Projekte mit reellen Erwartungen verbinden“, meint Werner gelassen. „Wir sind sehr zufrieden.“
Auch ein zweites Großvorhaben schließt ein früher abgeschottetes, 16.200 Quadratmeter großes Areal für die Frankfurter auf. Gleich vier Hochhäuser sind auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Bank im Dreieck zwischen Großer Gallusstraße, Neuer Schlesinger Gasse und Junghofstraße geplant. In einigen Jahren jobben hier bis zu 4.000 Leute in den Büros und 1.000 Menschen haben sich in mehr als 600 neuen Apartments eingerichtet. Von den insgesamt 60.000 Quadratmetern für Wohnungen werden etwa 8.000 Quadratmeter öffentlich gefördert.
„Erstmals entsteht eine Familie von sehr prominenten Hochhäusern inmitten der Skyline.“ – Tobias Sauerbier, Groß & Partner
Der Projektentwickler Groß & Partner und eine Experten-Jury entschieden sich Anfang des Jahres einstimmig für den Entwurf des Amsterdamer Büros UN Studio. Architekt Ben van Berkel setzte sich gegen 15 Konkurrenten durch, darunter Helmut Jahn, Christoph Ingenhoven, Christoph Mäckler und Wolf Prix sowie das Büro Zaha Hadid.
„Es wird ein Quantensprung für Frankfurt“, meint Tobias Sauerbier von Groß & Partner. „Erstmals entsteht eine Familie von sehr prominenten Hochhäusern inmitten der Skyline.“ Das 39 Jahre alte Mitglied der Geschäftsleitung ist seit 2016 für das Projekt verantwortlich. Sauerbier überzeugt die „einmalig intensive Nutzungsmischung“ – mit 8.000 Quadratmetern für den Einzelhandel und 5.000 Quadratmetern für Gastronomie.
Der 228 Meter hohe Hotel- und Büroturm wird das dritthöchste Gebäude Frankfurts. Um ihn gruppieren sich zwei Wohntürme, 173 und 120 Meter hoch, sowie ein 100 Meter hoher Büroturm. „Die hexagonalen Grundrisse, jeweils 90 Grad um die Längsachse gedreht, ermöglichen trotz der innerstädtischen Dichte weite Blickachsen“, lobt Sauerbier den „bis ins Detail durchgearbeiteten“ Entwurf van Berkels, der während seiner Zeit als Professor an der Frankfurter Städelschule nie etwas in Mainhattan baute.
Das rund eine Milliarde Euro kostende Vorhaben heißt inzwischen „FOUR“. „Die vier Hochhäuser sind mit Sockeln verbunden und auch über öffentliche Wege und Plätze aufeinander bezogen“, hebt Sauerbier die städtebauliche Qualität hervor. Die Alte Rothofstraße wird durch eine in das „FOUR“-Viertel führende Passage verlängert. Der Manager erinnert daran, dass diese Ecke vor dem Zweiten Weltkrieg mit Gastwirtschaften, Hotels und Veranstaltungsorten „voller Leben“ war. „Daran knüpfen wir jetzt an.“
In der Junghofstraße bleibt eine unter Denkmalschutz stehende Bankfassade mit Foyer aus den 50er-Jahren, der Wirtschaftswunderzeit, erhalten. Zwei der Türme von UN Studio werden auf dem Flachdach aufsetzen. Der Dachgarten in 25 Meter Höhe mit Blick auf den Rossmarkt soll bewirtschaftet werden.
An Stelle des mehrfach umgebauten Abs-Saals im Inneren der Junghofstraße 11 entsteht eine „Foodhall“ auf zwei Etagen, die originelle regionale Küche bieten soll. Noch dieses Jahr geht’s los. Zunächst wird das aus den sechziger Jahren stammende Händlergebäude der Deutschen Bank an der Großen Gallusstraße abgerissen. Das „FOUR“-Viertel soll im Jahr 2022 bezugsfertig sein.
Direkt daneben wird zur Zeit an der Ecke Große Gallusstraße und Neue Mainzer Straße der Omniturm gebaut, der Anfang 2019 fertiggestellt sein wird. Das US-Immobilienunternehmen Tishman Speyer kaufte im Februar 2015 das Grundstück, um erstmals in einem Tower des Bankenviertels Büros mit privatem Wohnen zu kombinieren, ergänzt durch Restaurants und Shops im Erdgeschoss. 54.100 Quadratmeter stehen in 45 Stockwerken zur Verfügung. Zuvor befand sich hier die Metzler-Bank, ein ziemlich gesichtsloser Bau aus der Zeit des schnellen Wiederaufbaus.
Tishman-Speyer-Präsident und CEO Rob Speyer, zur Grundsteinlegung Ende Mai aus New York angereist, sieht eine „einmalige Gelegenheit“, das ökologisch nachhaltige Gebäude im Frankfurter Central Bank District entwickeln zu können. Gegenüber erheben sich das Japan-Center und der Taunusturm, das Headquarter von Tishman Speyer in Deutschland. Eine Kreuzung mit einem Hochhaus an jeder Ecke sei in Manhattan nichts Ungewöhnliches, für Frankfurt aber noch eine Besonderheit, lächelt Speyer selbstbewusst.
Architekt Bjarke Ingels, der erst kürzlich in Frankfurt für einen New Yorker Skyscraper mit dem Internationalen Hochhauspreis ausgezeichnet wurde, konzipierte einen 183 Meter hohen Hingucker mit einem Knick auf halber Höhe. Genau in dieser Mitte, die wie gewagter Hüftschwung wirkt, bringt der Däne exklusive Residenzen auf acht Etagen unter. Ingels, ein Star der internationalen Architekturszene, hat die Wohngeschossflächen in einer eigenwilligen spiralförmigen Bewegung nach außen verschoben, sodass schmale Terrassen entstehen. Ansonsten sei das Gebäude aber sehr klar und nüchtern gegliedert, hebt der 42-jährige gebürtige Kopenhagener hervor.
Für die Stadtentwicklung seien die genannten Projekte „unglaublich wichtig“, urteilt Christoph Mäckler. Der Frankfurter Architekt hat selbst am Maintor das Panorama-Hochhaus entworfen, in dem jetzt die Sozietät CMS Hasche Sigle sitzt. Gegenüber steht das 57 Meter hohe National-Hochhaus von 1962/63, damals eines der ersten Hochhäuser der Stadt. „Das Panorama-Gebäude korrespondiert mit seinem Gegenüber. An der Untermainbrücke haben wir somit einen Brückenkopf zur Bankenklamm.“
Die Schneise hat aufgehört, ein zugiger und unwirtlicher Ort zu sein. Als Kritiker eines Städtebaus, der die gewachsenen Strukturen der europäischen Städte zugunsten kalter Funktionalität vernachlässigt, machte sich Mäckler einen Namen. Von der gerade stattfindenden Revitalisierung des Frankfurter Zentrums ist der Professor der TU Dortmund höchst angetan. „FOUR und Omniturm stellen ein perfekt organisiertes Geschäfts- und Wohnviertel dar, das den Kaiserplatz mit der Fressgass verbindet.“ Und das Maintor-Viertel pulsiere wie eine Ader zwischen Neuer Mainzer Straße und dem Römerberg.
Eine neue Phase hat begonnen. Das Leben und Arbeiten zwischen Horizontalen und Vertikalen dürfte am Main noch aufregend werden.
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